Immer wieder liest man davon, wie schlecht es um das deutsche Gründungsgeschehen im internationalen Vergleich bestellt ist. Zu wenig Gründungen durch Frauen, fehlende Risikobereitschaft auf Seiten von Investor:innen, unzureichende Förderungangebote. Doch trifft das alles wirklich zu? In wie steht Deutschland im internationalen Vergleich der Unternehmensgründungen? Um das herauszufinden, haben wir uns den Global Entrepreneurship Monitor 2022/2023 angeschaut.

Global Entrepreneurship Monitor: Unternehmensgründungen im weltweiten Vergleich

Seit 23 Jahren untersucht der Global Entrepreneurship Monitor (GEM) das weltweite Gründungsgeschehen. Bis zu 70 Länder erheben jährlich Daten zu nationalen Gründungsaktivitäten und den jeweiligen Rahmenbedingungen, was den GEM zum weltweit größten Projekt der ländervergleichenden Gründungsforschung macht.

Der neue GEM-Länderbericht, der in Kooperation zwischen dem Institut für Wirtschafts- und Kulturgeographie der Leibniz Universität Hannover und dem RKW Kompetenzzentrum entstanden ist, analysiert sowohl Gründungsaktivitäten und -einstellungen als auch gründungsbezogene Rahmenbedingungen in Deutschland im internationalen Vergleich.

Die Ergebnisse des neuen Länderberichts basieren auf weltweit über 164.718 befragten Bürgerinnen und Bürgern (davon 4.110 in Deutschland) in 49 Staaten sowie 2.240 Gründungsexpertinnen und -experten (70 in Deutschland) in 51 Staaten.

Die Quote der Gründungsaktivitäten liegt in Deutschland erstmals über 9 %

Im Jahr 2022 erreichte die Quote der Gründungsaktivitäten in Deutschland 9,1 % und damit den höchsten Wert seit 1999, dem Startjahr der Erhebungen im Rahmen des Global Entrepreneurship Monitors (GEM). Enthalten sind sowohl Personen, die zum Zeitpunkt der Befragung eine Gründung vorbereiten, deren formale Umsetzung jedoch noch nicht erfolgt ist, als auch Personen, die sich in den letzten dreieinhalb Jahren selbständig gemacht oder ein Unternehmen gegründet haben, erfasst.

Internationaler Trend: Gründungsaktivitäten erhöhen sich um 0,4 Prozentpunkte

Insgesamt zeigt sich auch auf internationaler Ebene eine positive Entwicklung bei den Gründungsaktivitäten. Diese haben sich von 2021 auf 2022 bei den im Rahmen des GEM betrachteten Ländern um 0,4 Prozentpunkte erhöht. Deutschlands Steigerung liegt mit gut 2,2 Prozentpunkten über diesem Schnitt.

Entwicklung der Gründungsaktivitäten: höheres Niveau und mehr junge Gründende

In den letzten vier Jahren (2019 bis 2022) liegt das durchschnittliche Niveau der Gründungsaktivitäten in Deutschland bei über 7 % und somit über dem langfristigen Mittel von etwa 5 % für den vorangegangenen Zeitraum von 1999 bis 2018. Der Anstieg der Gründungsaktivitäten wurde von einer Verschiebung zwischen den Altersgruppen begleitet. Bis 2017 waren die 35- bis 44-Jährigen die Gruppe mit der höchsten Gründungsquote. Seitdem haben sich die Gründungsaktivitäten kontinuierlich hin zu den jüngeren Bevölkerungsgruppen der 18- bis 24-Jährigen und 25- bis 34-Jährigen verlagert.

Schwerpunktthema: Menschen mit Einwanderungsgeschichte gründen in Deutschland häufiger

Knapp 27 % der Gründenden in Deutschland sind Menschen mit Einwanderungsgeschichte (definiert als Personen, die seit 1950 selbst zugewandert oder deren Eltern beide zugewandert sind). Diese Gruppe weist im langjährigen Durchschnitt (2016 bis 2022) mit 6,7 % höhere Gründungsaktivitäten als einheimische Personen mit 5,9 % auf. Gründende mit Einwanderungsgeschichte kommen besonders häufig aus der Türkei, Russland und Polen

Gründungen durch Frauen: Die Steigerung der Gründungsaktivitäten führt nicht zur Auflösung des Gendergap

Seit dem Start des GEM im Jahr 1999 liegen die Gründungaktivitäten von Frauen unterhalb der von Männern. Das gilt auch für 2022: Frauen (7,1 %) gründen deutlich seltener als Männer (11,0 %). Das insgesamt höhere Niveau an Gründungsaktivitäten hat nicht zu einer Verringerung des Gendergaps geführt. Höheren Gründungsquoten von Frauen stehen überproportionale Anstiege der Gründungen durch Männer gegenüber.

Die Integration sozialer und ökologischer Maßnahmen ist für Gründerinnen und Gründer besonders wichtig

61 % der Gründenden beziehen soziale Aspekte im Rahmen von unternehmerischen Entscheidungen mit ein. Dieser Wert ist mehr als 10 Prozentpunkte höher als bei etablierten Unternehmerinnen und Unternehmern. Ökologische Aspekte werden hingegen von über der Hälfte der Gründenden und 61,5 % der etablierten Unternehmen berücksichtigt.

Stärken und Schwächen des Gründungsstandorts Deutschland: Innovationsfreundliches Umfeld mit verbesserungswürdiger Infrastruktur

Zu den im GEM untersuchten gründungsbezogenen Rahmenbedingungen gehören politische, ökonomische, soziale und kulturelle Kontextfaktoren, die bei einer positiven Ausprägung Unternehmensgründungen in ihrer Quantität und Qualität begünstigen können. Bei einigen wenigen Kontextfaktoren lassen sich auffällige Änderungen der Rangposition in den vergangenen Jahren feststellen. Hierzu gehört die physische Infrastruktur (Kommunikationsmöglichkeiten, Transportwege, Büro- und Produktionsräume), deren Einschätzung sich in den letzten Jahren etwas verschlechtert hat. Zur Gruppe mit den besten Bewertungen gehören nun die Wertschätzung von Unternehmen und Konsumenten gegenüber neuen Produkten und Dienstleistungen sowie öffentliche Förderprogramme. Eine leichte Verbesserung der Platzierung über die Jahre lässt sich für den Bereich Wissens- und Technologietransfer erkennen. Die schulische Gründungsausbildung bleibt die Rahmenbedingung mit der schlechtesten Bewertung.

Der gesamte Global Entrepreneurship Monitor 2022/2023 findet sich unter www.rkw-kompetenzzentrum.de.

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